Ratlosigkeit in Deutschland
Wiederholt und mit großem Nachdruck ging der verstorbene Papst Johannes Paul II. auf das Thema „Neuevangelisierung“ ein. Die deutsche Bischofskonferenz hat dazu zwei Papiere herausgegeben: „Zeit der Aussaat“ und den Hirtenbrief zum Missionssonntag 2004. Doch davon abgesehen sieht es so aus, als wisse man in Deutschland mit diesem Thema nicht viel anzufangen bzw. als sehe man keinen konkreten Weg, wie man hier tätig werden könne. Dabei wäre eine Neuevangelisation gerade in Deutschland heute dringend erforderlich. Papst Benedikt XVI. hat kürzlich selbst darauf hingewiesen, dass schon über die Hälfte der Deutschen nicht mehr getauft ist. Besonders die neuen Länder sind stark entchristlicht. Und auch im Westen erleben wir schon jahrelang einen Auszug aus der Kirche. Dieser macht sich inzwischen bekanntlich auch finanziell bemerkbar. Schlimmer aber ist, dass die Jahrhunderte lange Glaubensweitergabe von einer Generation zur anderen inzwischen nach Null tendiert. Die leeren Kinderbänke in den Kirchen und die weithin fehlenden jungen Familien sprechen eine deutliche Sprache. Neuerdings überlegt man ja schon, was man mit den nicht mehr benötigten Gotteshäusern anfangen soll – ob man sie besser verkauft oder abreißt.
Aufbruch in den USA und in Indien
Wie viel anders sieht es dagegen in den meisten außereuropäischen Ländern aus! In den USA gibt es zwar auch schrumpfende Gemeinden. Aber das Erwachsenen–Katechumenat ist dort flächendeckend ausgebaut, so dass jährlich Tausende von Erwachsenen getauft werden. Auch in der Dritten Welt wachsen die Gemeinden ständig. In Indien etwa werden in vielen Bildungshäusern laufend einwöchige Exerzitien abgehalten. An ihnen nehmen auch viele Hindus, Mohammedaner und Buddhisten teil. Die „kleinen“ Häuser haben jeweils bis zu 1000 Teilnehmer, das größte in Poona bis zu 20 000. Manche der Patres, die dort wirken, sind inzwischen auch zu uns nach Deutschland gekommen, um ähnliche Exerzitien zu geben. Da sie stark von der charismatischen Erneuerung geprägt sind und es bei diesen Treffen auch oft zu Heilungen kommt, ist die Anziehungskraft dieser Veranstaltungen groß. Gerade bei den von den Patres gründlich vorbereiteten Beichten kommt es immer wieder zu tiefgreifenden Bekehrungen von Menschen, die Jahre lang keine Kirche mehr von innen gesehen haben.
Erfolg der bibeltreuen Freikirchen
Ähnliches ist bei vielen in Deutschland tätigen pfingstlerischen Freikirchen zu beobachten. Sie sind ausgesprochen bibeltreu. Weil sie sich von den Tendenzen einer übertriebenen historisch–kritischen Exegese fernhalten, ist ihr Glaube an das Wirken des Heiligen Geistes auch in unserer Zeit ungebrochen. Und obwohl sie sich in sexualethischen Fragen streng an die Bibel halten, haben sie gerade unter jungen Menschen starken Zulauf.
Eine ähnliche Wirksamkeit entfalten derartige Gruppen auch in Süd– und Mittelamerika. Da viele Katholiken dort nicht wirklich bekehrt sind, sondern oft nur äußerlich und gewohnheitsmäßig der Kirche angehören, gewinnen diese stark charismatisch–freikirchlich geprägten Gruppen viele Menschen. Man rechnet damit, dass in manchen Ländern schon die Hälfte aller Bewohner nicht mehr katholisch ist. Wie anders könnte diese Situation sein, wenn z.B. die Kirche in Brasilien oder in Guatemala sich frühzeitig auf die Kraft des Heiligen Geistes besonnen hätte, so wie es etwa in Indien heute der Fall ist.
Evangelisierung „mit der Kraft aus der Höhe“
Wenn man aus diesen Beobachtungen einen Schluss ziehen will, so muss man sagen: Entscheidend für eine erfolgreiche missionarische Tätigkeit ist, dass sie in der Kraft des Heiligen Geistes geschieht. Das geht schon eindeutig aus der Heiligen Schrift hervor. So erteilt Jesus den Aposteln zwar nach der Auferstehung den Missionsbefehl, sagt aber ausdrücklich: „Bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet!“ (Lk 24,49) Erst mit der Geistausgießung an Pfingsten erhalten die Jünger jene Zurüstung, mit der sie erfolgreich an die Mission herangehen können. Zuvor hatte ihnen der Herr bereits den Auftrag gegeben: „Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!“ (Mt 10,8) Ähnlich heißt es auch im 16. Kapitel des Markusevangeliums von den gläubig gewordenen Christen: „In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben; sie werden in neuen Sprachen reden… und Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden.“ (Mk 16,17 f.) Wenig später berichtet Markus: „Sie aber zogen aus und predigten überall. Der Herr stand ihnen bei und bekräftigte die Verkündigung durch Zeichen, die er geschehen ließ.“ (Mk 16,20) Mit anderen Worten: Ihre vom Geist erfüllte Predigt wurde durch geistgewirkte Zeichen und Wunder bestätigt – genau so, wie es seinerzeit bei der Verkündigung Jesu nach seiner Taufe im Jordan geschehen ist. Später bestätigt die Apostelgeschichte, dass der Herr in der Kraft des Geistes mit den Aposteln war, sie lenkte und leitete, so dass die Gemeinden immer stärker wuchsen.
„Historisch–kritische Hürde“ für das Übernatürliche
Wenn man sich nun fragt, warum Gleiches nicht heute bei uns passiert, so kann man wohl mit Fug und Recht sagen: Wir haben heute in Deutschland weithin auf den Heiligen Geist vergessen. Das zeigt sich z.B. schon bei der Art, wie die Apostelgeschichte heute ausgelegt wird. Man sagt da etwa: „Lukas zeichnet hier ein Idealbild von Kirche. In Wirklichkeit hat es sich seinerzeit nicht so zugetragen, wie es hier geschildert wird. Oder wer sieht heute etwa bei uns, dass Lahme gehen, Blinden die Augen aufgetan werden oder Tauben die Ohren. Was wir heute nicht erleben, kann auch früher so nicht stattgefunden haben.“
Interessant ist in dieser Hinsicht eine Beobachtung: Vor einigen Jahren besuchte Pater Tardif Deutschland. Bei seinen Predigten kamen gehäuft ähnliche „Zeichen und Wunder“ vor wie in der Apostelgeschichte. In manchen Gegenden Deutschlands wurde er aber keineswegs freundlich aufgenommen. Vielmehr hieß es: „So etwas passt nicht zu uns. Der darf nicht wieder zu uns kommen.“ Mancherorts wurde sein Auftreten auch von vorn herein abgelehnt.
Mir scheint, dass wir in Deutschland mit dem Heiligen Geist, mit seinem Wirken und seinen Geistesgaben nicht viel anfangen können. Beeinflusst von der historisch–kritischen Exegese, z.B. von Bultmann und seinen Nachfolgern, ist die ganze Welt des Übernatürlichen weitgehend aus unserem Bewusstsein geschwunden. In den Predigten hören die Gläubigen stattdessen, dass die Wunder, wie sie in den Evangelien stehen, so nicht geschehen sein können bzw. dass sie nur symbolisch verstanden werden dürfen. Alles Derartige, was die Evangelien berichten, einschließlich der Jungfrauengeburt, der Auferstehung, der Geistausgießung an Pfingsten und der Menschwerdung Gottes sei nicht wörtlich zu verstehen, sondern nur in einem „gleichnishaften“, „übertragenen“ Sinn. Was dann an kirchlichem Leben noch übrig bleibt, ist letztlich menschliches, sicher oft auch karitatives Tun – zweifellos gut gemeint, aber nicht mehr eindeutig aus jener göttlichen Quelle gespeist, die hinter allem christlichen Wirken stehen sollte.
Anzeichen für die „Geistvergessenheit“
Die für unsere Zeit typische „Geistvergessenheit“ zeigt sich auf vielfache Weise: So ist z.B. kaum noch von der „Inspiration“ der Heiligen Schrift die Rede. Weiterhin betrachten viele die Kirche und ihr Tun als reines „Menschenwerk“, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Sie wissen nichts mehr davon, dass der Heilige Geist die Kirche geleitet hat und nur er sie leiten kann. Deshalb erheben sich auch immer wieder die vielen, vom Zeitgeist beeinflussten Änderungswünsche, wie sie etwa vor dem jüngsten Konklave in vielen Medien geäußert wurden.
Ferner ist das Thema „Heiligkeit“ und „Heiligung“ weitgehend aus dem Bewusstsein entschwunden, ja selbst bei der Priesterausbildung scheint es kaum noch eine Rolle zu spielen. Damit hängt auch zusammen, dass das Thema „Sünde“ kaum noch erörtert wird und die Beichte weitgehend dem Vergessen anheim gefallen ist.
Das deutlichste Anzeichen für die heutige „Geistvergessenheit“ aber dürfte die mangelnde Einheit im Glauben sein, die man heute leider auch bei uns beobachten kann. So weit ich mich erinnere, hat Papst Benedikt XVI. selbst davon gesprochen, dass die katholische Kirche in Deutschland heute praktisch gespalten ist.
Wie können wir den Heiligen Geist erfahren?
Was also kann und muss geschehen, damit eine „Neuevangelisation in der Kraft des Heiligen Geistes“ auch in Deutschland wieder möglich wird?
Es braucht zunächst so etwas wie eine Wiederentdeckung des Heiligen Geistes als einer tatsächlich erfahrbaren Wirklichkeit. Wenn der Heilige Geist nicht erfahrbar wäre, dann hätte Paulus die Johannesjünger in Ephesus (Apg 19,2) nicht fragen können, ob sie denn den Heiligen Geist empfangen hätten, als sie gläubig wurden. Und auch Petrus hätte nach der Geistausgießung im Haus des Hauptmanns Cornelius nicht feststellen können, dass die unbeschnittenen Heiden genauso überraschend den Heiligen Geist empfangen haben wie die Jünger am Anfang, also an Pfingsten. (Apg 10,45; 11,15 und 15,8). Und noch etwas wird an diesen Stellen deutlich: Wo der Heilige Geist neu erfahren wird, werden auch jene Charismen sichtbar, über die Paulus im 1. Korintherbrief (12, 8–10 und Kap.14) spricht und die in der katholischen Kirche Deutschlands gegenwärtig leider kaum Beachtung finden.
1. Beseitigung der Hindernisse
Wenn man nun fragt: Wie kann ich hier und heute diese erneute Hinwendung zum Heiligen Geist vollziehen, so ist als erstes auf die radikale Umkehr zu verweisen, zu der auch Jesus am Beginn seiner Verkündigung aufruft. Es ist also nötig, sich in einer gründlich vorbereiteten Beichte von aller Sünde und allem Bösen eindeutig abzuwenden. Hindernisse für den Heiligen Geist sind außer den Sünden und sündhaften Gewohnheiten besonders alles Nicht–Vergeben, ferner alle Bindungen und Praktiken im Bereich des Okkulten, des Aberglaubens und des Esoterischen.
2. Bewusste Lebensübergabe
Ein zweiter Schritt ist, dass ich Gott mein Leben von neuem übereigne: Gott soll an erster Stelle in meinem Leben stehen. Nicht mein Wille, sondern der seine soll geschehen. Man kann dies auch als eine bewusste Tauferneuerung verstehen: der alte Mensch soll sterben, damit der neue Mensch „von oben“ her wiedergeboren werden kann. Hilfreich mag hier auch sein, dass andere einem die Hände auflegen und um eine erneute Geisterfüllung beten.
3. Lobpreis Gottes aus Freude an der Berufung
Ein Zeichen dieses neuen Lebens im Heiligen Geist ist häufig eine neue Freude am Glauben, eine neue Liebe zum (Lobpreis–)Gebet und ebenso zur Heiligen Schrift, die jetzt in der Regel tiefer und besser verstanden wird. Oft stellt sich auch die Erfahrung ein, von Gott geführt zu werden, was ja im Zusammenhang mit der Gabe der Unterscheidung der Geister steht. Gerade für Priester ist diese lebendige Erfahrung des Heiligen Geistes heute ganz besonders wichtig. Dies bezeugen u. a. 11 Priester in der Broschüre „Die erste Liebe. Vom Glück, ein Priester zu sein“ (herausgegeben von Gertraud Rességuir, ISBN 3–87868–420–7). Manche von ihnen, die schon an eine Aufgabe ihres Priestertums dachten, haben nach einer neuen, intensiven Gotteserfahrung wieder große Freude an ihrem Dienst gefunden.
4. Verkündigung mit brennendem Herzen
Für unser Thema ist besonders wichtig, dass nach einer derartigen Erfahrung häufig das Herz zu brennen beginnt und die Verkündigung des Betreffenden eine völlig neue Qualität erhält. Es heißt ja schon bei der Pfingstpredigt des Hl. Petrus: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz“ (Apg 2,37) Wenn die Predigt – in der Kraft des Heiligen Geistes und seiner Gaben – auch noch durch Zeichen und Wunder bestätigt wird, können oft auch hartgesottene Sünder und Kirchengegner zur Umkehr bewegt werden. Viele Berichte zeigen, dass dies tatsächlich auch heute geschieht.
Hoffnung auf eine neue Blüte des Glaubens
Warum soll das, was in der frühen Kirche selbstverständlich war, heute nicht mehr möglich sein. Die gegenwärtige Situation der Gläubigen als einer Minderheit, die weithin einem massiven Unglauben gegenübersteht, ist ja der Situation der Kirche der Frühzeit außerordentlich ähnlich. Deshalb wird ohne die Hilfe „von oben“, wie sie die junge Kirche erfuhr, eine Neuevangelisierung in Zukunft schwerlich möglich sein. Eine rein auf der menschlichen Ebene angesiedelte Mission wird trotz allem Scharfsinn, allen ausgeklügelten Methoden und Planungen nicht zum Erfolg führen. Und weil dies viele Verantwortliche in der Kirche spüren, wird von „Neuevangelisation“ zwar manchmal gesprochen – aber in der Praxis ist davon wenig zu sehen. Lediglich die neuen geistlichen Bewegungen haben dieses Anliegen aufgegriffen, ebenso die katholischen Radio– und Fernsehstationen. Deswegen sollte alles nur Erdenkliche geschehen, um diese Initiativen nach Kräften zu fördern und zu stützen, damit der katholische Glaube in Deutschland auch in Zukunft nicht ausstirbt, sondern zu neuer Blüte gelangt.