Es war im Jahr 1947. Damals habe ich meine spätere Frau kennengelernt. Schon beim ersten Spaziergang
sprachen wir über Religion und Glaube. Nachdem ich langsam und vorsichtig meinen bisherigen
Standpunkt des Unglaubens aufgegeben hatte, wurde ich am Allerheiligentag 1949 in die katholische
Kirche aufgenommen.
Wie alle jungen Leute sehnten wir uns danach, einander für immer anzugehören, aber wir mußten bis
zum August 1951 warten, bis wir heiraten konnten. Etwa im Mai kam mir beim Gebet aber plötzlich der
Gedanke, ob mich Gott nicht zum Priester berufen wollte. Bei der Suche nach einer Antwort stieß ich
auf den heiligen Ignatius, der davon sprach, daß jener Entschluß dem Willen Gottes entspräche, bei
dem man inneren Friede und innere Freude verspüre. Ich probierte das aus, aber weder beim
priesterlichen Weg noch bei dem in die Ehe kam ich innerlich zur Ruhe. Da stellte sich bei mir
schließlich überraschend der Gedanke ein, daß sich in meinem Leben beides miteinander verwirklichen
ließe, und siehe da: jetzt kam der innere Friede. Ich wunderte mich natürlich darüber und legte mir
das dann so zurecht: Ein Vater ist ja so etwas wie der Priester seiner Familie – und meine Frau und
ich waren uns einige, daß wir eine große Familie haben wollten. Also könnte ich hier priesterlich
tätig sein. Und schließlich bekamen wir dann auch sechs Kinder, die wir mit Freuden annahmen und
mir Einschränkungen und Mühen großzogen.
Ich war damals im Hoheneck–Verlag in Hamm/Westfalen tätig, der zu einer „Bischöflichen
Hauptarbeitsstelle“ gehörte. Dort gab es regelmäßig Einkehrtage für die Mitarbeiter. Einmal, als
Pater Bernward Dietsche OP zu uns kam, – es mag etwa 1960 gewesen sein – sagte er in einem Vortrag,
wir sollten uns fragen, ob wir in unserem Leben eventuell schon einmal einen Anruf Gottes überhört
hätten. Ich ging zu ihm und erzählte ihm von meinem Ruf zum Priestertum, mit dem ich mich vor der
Eheschließung auseinandergesetzt habe. Aber im Gespräch waren wir uns einige, daß mir ein solcher
Weg jetzt als Ehemann verschlossen sei. Und zu den uniierten Ukrainern, bei denen es verheiratete
Priester gibt, wollte ich denn doch nicht übertreten.
Wieder vergingen viele Jahre. Wir waren inzwischen nach Oberbayern umgezogen, da ich im Ordinariat
München den Aufbau der katholischen Erwachsenenbildung übernehmen sollte. 1977, kurz vor meiner
Weihe zum Diakon, hatte ich in der Würzburger Domschule einen Vortrag über „Das Heilungsgebet in der
charismatischen Erneuerung“ zu halten. Nach dem Vortrag sprach mich eine Frau an, die mit mir
hinterher noch über das Gesagte sprechen wollte. Obwohl sie nicht der charismatischen Erneuerung
angehörte, fing sie plötzlich an prophetisch zu sprechen und sagte mir: „Sie müssen sich noch von
ihrer Frau trennen und Priester werden, erst dann können sie das tun, was Gott mit ihnen vorhat.“
Ich bin ich zutiefst über diese Worte erschrocken. Am Ton der Stimme erkannte ich zwar deutlich,
daß es sich um eine echte Prophetie handelte. Aber dann erinnerte ich mich, daß ich vor mehreren
Jahren in einem längeren Aufsatz gelesen hatte, daß Verheiratete ihre Ehe nicht auflösen können, um
Priester zu werden. Zwar habe es in zurückliegenden Jahrhunderten diesen Weg gegeben, aber die
Kirche habe damit damit so schlechte Erfahrungen gemacht, daß dieser Weg heute nicht mehr gestattet
würde. Ich sagte dies meiner Gesprächspartnerin – und schließlich sprachen wir von etwas anderem.
Ich fuhr mit meinem Auto nach Oberbayern zurück. Auf der Höhe des Steigerwaldes fiel mir das vorher
gehörte Wort plötzlich wieder ein – und es überfiel mich mit einer unerhörten Gewalt. Ich hatte das
Gefühl eines inneren Erdbebens, das das Haus meines Lebens durchrüttelte und zum Einsturz zu bringen
drohte. Ich suchte schleunigst einen Parkplatz auf um im Auf– und Abgehen nach Luft zu schnappen und
mich wieder zu beruhigen. In den folgenden Wochen dachte ich noch manchmal an dieses Wort, aber als
ich bei den Weiheexerzitien mit Rektor Spämann darüber sprach, bestätigte er mir noch einmal, daß es
den Weg einer Eheauflösung nicht gäbe, so daß ich mich beruhigte und mit der Zeit auf dieses Wort
vergaß.
Erst am 24. August 1981 ist mir dieses Wort erneut ins Gedächtnis gekommen: Meine Frau war damals in
den Chiemgau zur Geburtstagsfeier einer meiner Töchter gefahren. Unterwegs war ihr auf der Autobahn
schlecht geworden, so daß sie direkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Als ich sie kurz darauf
besuchte, erfuhr ich, daß sie an Krebs erkrankt sei. Ich muß gestehen, daß ich mit einer solchen
Möglichkeit niemals gerechnet hatte, denn sie war die ganzen Ehejahre viel gesünder gewesen als ich.
Als ich an ihrem Bett stand, sagte sie zu mir: „Daß man bei Dir eines Tages so etwas finden würde,
damit habe ich immer gerechnet. Aber daß mir so etwas zustoßen könnte – daran habe ich nie gedacht.“
Und das stimmte. Denn unausgesprochen war es zwischen uns immer klar gewesen, daß sie mich
wenigstens um 20 Jahre überleben würde.Sie wurde operiert, aber schon wenige Wochen später zeigten
sich bei ihr erste Anzeichen von Metastasen. Auch Bestrahlungen halfen nichts, so daß sie im
Frühjahr verstarb.
Als wir dann in München einen Seelengottesdienst für sie hielten, kamen hinterher drei Personen
unabhängig voneinander zu mir und sagten: „Der Herr hat mir gezeigt, daß er Deine Frau zu sich
genommen hat, weil du noch Priester werden sollst.“ Ich konnte darauf nur sagen: „Ja, ich weiß es.
Er hat es mir auch gesagt.“
Wenn Kardinal Ratzinger noch unser Bischof gewesen wäre, wäre es mit meiner Priesterweihe wohl rasch
vorangegangen. Aber er war inzwischen nach Rom gegangen, so daß der Bischofssitz längere Zeit
verwaist war. Als dann Kardinal Wetter Bischof wurde, fragte ich im Ordinariat, ob für mich die
Priesterweihe noch möglich sei. Ich war ja zuvor schon elf Jahre als Diakon in der Seelsorge
gestanden. Ich mußte längere Zeit auf Antwort warten. Als der ersehnte Brief endlich eintraf,
enthielt er eine eindeutige Absage. Ich war erschüttert, – aber im Innern vernahm ich plötzlich eine
Stimme, die sagte: „Ich habe dich berufen und du wirst Priester werden.“ Aber meine priesterlichen
Freunde sagten: „Du, der Brief ist so negativ. Es hat keinen Wert, daß Du noch einmal dein Ersuchen
wiederholst. Warte erst einmal ab. Wenn du jetzt gleich noch einmal schreibst, wird die Absage noch
deutlicher ausfallen.“Also wartete ich ab und fragte oben beim Herrn immer wieder an, was ich tun
sollte. Nach gut einem Jahr – es war wohl Weihnachten 1983 – bekam ich grünes Licht, unserem
Kardinal einen neuen Brief zu schreiben und ihm etwas über die „prophetischen Worte“ mitzuteilen,
die ich vor einiger Zeit erhalten hatte. Zu meiner Überraschung erhielt ich kurzfristig einen
Gesprächstermin, und der Kardinal stellte mir in Aussicht, daß eine Priesterweihe durchaus noch
denkbar sei – nur müßte ich zuvor ein theologisches Zusatzstudium absolvieren. Wiederholt sagte er
mir: „Ja, sie erhalten von mir noch Bescheid“.
Von da an sah ich jeden Tag voller Erwartung dem Postboten entgegen – aber der angekündigte Bescheid
kam nicht. Nach einem Vierteljahr fragte ich im Sekretariat nach, und ebenso nach einem halben und
einem dreiviertel Jahr – aber keine Antwort kam. Ich hätte das Warten wohl aufgegeben, wenn mir vom
Herrn nicht immer wieder versichert worden wäre, daß ich noch Priester werden würde. Im Frühjahr
1985 bekam ich von „oben“ schließlich die Erlaubnis, mich an die Weihbischöfe und den Generalvikar
zu wenden. Letzterer lud mich zum Gespräch ein und sagte gleich zu Beginn, daß meiner Priesterweihe
ein erhebliches Hindernis im Wege stehe. Ich war im ersten Moment verdutzt. Nach einer schnellen
Gewissenserforschung sagte ich, daß ich nicht wisse, worauf er hier anspiele. Seine Antwort war:
„Ihr Engagement in der Charismatischen Erneuerung“. Ich versuchte ihm klar zu machen, daß es mir
nicht um die Einführung irgend einer Sonderfrömmigkeit ging, sondern darum, die Gemeinde aus dem
Heiligen Geist heraus zu erneuern und zu beleben. Nach einem längeren Gespräch meinte er dann: „Aber
wenn wir sie wirklich noch zum Priester weihen, dann müssen sie bereit sein, eine Pfarrei zu
übernehmen.“ Genau darauf aber hatten mich meine Priesterfreunde schon seit längerem vorbereitet, so
daß ich auch dazu „ja“ sagen konnte. Ursprünglich hatte ich an eine solche Aufgabe gar nicht
gedacht. Ich wäre zufrieden gewesen, eine Art Aushilfspriester zu werden, der dort einspringt, wo
gerade Not am Mann ist. Als Diakon hatte ich ja oft stundenlang am Telefon gesessen, um eine
Sonntagsaushilfe zu bekommen, wenn mein Pfarrer anderweitig gebraucht wurde.
Wieder vergingen Wochen. Aber im Sommer – ich war gerade in Urlaub in Holland – kam plötzlich die
Nachricht, daß ich noch geweiht werden könnte, aber zuvor noch zwei Jahre Theologie studieren müßte.
Natürlich freute ich mich enorm. Endlich kam das ersehnte Ziel in erreichbare Nähe. Aber als ich
dann am Strand in Ruhe über mein zukünftiges Leben nachdachte, beschlich mich einiges Bangen. Welche
Pfarrei werde ich bekommen? Welches Pfarrhaus? Wer wird mir beim Umzug helfen ? Und vor allem: Wer
wird mir den Haushalt führen? Woher würde ich eine geeignete Pfarrhaushälterin bekommen? Ich wußte
ja, daß es immer weniger Frauen gab, die dazu bereit waren.Ich fing damals an zu beten: „Herr, bitte
regle Du all diese Dinge mit dem Umzug, mit dem Pfarrhaus und mit der Pfarrhaushälterin.“ Und es war
ganz eigenartig: Nach einiger Zeit spürte ich bei dieser Bitte immer wieder so etwas wie eine Hand,
die sich auf meine Schulter legte und mir zu bedeuten gab: „Hab keine Sorge, ich werde das alles
regeln.“ Es war ein tröstlicher Gedanke, der mir das Herz warm machte.
Schließlich konnte ich im Herbst mein Studium in Benediktbeuern beginnen. Es war eine wunderbare
Erfahrung, einmal in Ruhe all das lesen zu können, was mich schon jahrelang interessierte. Im Sommer
1987 kam die Zeit der Prüfungen, die mir keine Probleme bereiteten. Dann ergab sich, daß ich im
Herbst zusammen mit einigen Jesuiten geweiht werden konnte. Am 17. Oktober war es schließlich so
weit, und auf der Suche nach einem geeigneten Primiztermin ergab sich, daß nur der Allerheiligentag
in Frage kam. Zugleich traf die Nachricht ein, daß ich ab dem 1. November die Pfarrei Agatharied bei
Miesbach übernehmen sollte.Eine Vielzahl von Aufgaben nahm jetzt meine ganze Aufmerksamkeit in
Anspruch. Aber dann fiel mir mein altes Problem wieder ein: „Ja Herr, wo bleibt denn meine
Pfarrhaushältern. Du hast mir doch so deutlich zu verstehen gegeben, daß…“. Aber weit und breit
war keine Pfarrhaushälterin zu sehen. Am 2. November zog ich mit meiner Matratze ins leere Pfarrhaus
ein. Plötzlich kam ein Brief von einer alten Bekannten: „Ich hatte ja keine Ahnung, daß Du noch
Priester würdest. Deine Post hat mich erst auf langen Umwegen erreicht. Meine Ehe ist gescheitert,
mein Haus ist versteigert, meine Alterssicherung verloren. Um noch ein Dach über dem Kopf zu haben,
habe ich eine Stellung als Pfarrhaushälterin in München angetreten. Aber viel lieber wäre ich
natürlich zu Dir gekommen, wenn ich all das gewußt hätte.“Ich schrieb zurück: „Es wär‘ so schön
gewesen. Es hat nicht sollen sein.“ Aber wenige Tage später kam die Antwort: „Ich habe es mir
überlegt. Ich bin ja noch in der Probezeit. Am 1. Dezember kann ich bei Dir anfangen.“ Und so kam es
auch. Genau am 1. Dezember, als meine Möbel kommen sollten, fing sie bei mir an, und mit ihrer Hilfe
und mit der Unterstützung einer hervorragenden Sekretärin habe ich die neue Aufgabe dann auch
anpacken und bewältigen können – im Alter von 61 Jahren. So hat mir der Herr auf meinem Weg zum
Priestertum geholfen, und er hilft mir weiter bis zum heutigen Tag. Ihm sei Lob und Ehre in alle
Ewigkeit.